Seit Kriegsbeginn in Gaza sind zwei Jahre vergangen; zwei Jahre, in denen ein Gebiet verwüstet und das Leben von ganzen Generationen durch Grausamkeit, Unrecht und Gewalt gezeichnet wurden. Zur Beschreibung der täglichen Unterdrückung reichen Zahlen ebenso wenig aus, wie zur Schilderung der Kraft und Würde derer, die unter all diesen Umständen weiterhin Widerstand leisten.

Am 15. September haben wir unsere Kollegin Riham Jafari, Communications and Advocacy Coordinator von ActionAid Palästina, interviewt. Mithilfe ihrer Ausführungen versuchen wir die Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen, ihre Gesichter sichtbar zu machen und die Stimmen aller Palästinenser anzuhören, die tagtäglich nicht um Almosen, sondern um Gerechtigkeit ersuchen.

Riham, als Sprecherin von ActionAid Palästina solltest du in den letzten beiden Jahren in Interviews oft deine Sichtweise vermitteln. Wie lautet die wichtigste Botschaft, die du unseren Unterstützern mitteilen willst? Und wie können wir helfen?

Meine Botschaft an eure Unterstützer lautet: Bleibt weiterhin solidarisch und unterstützt uns. Eure Solidarität ist nicht nur ein Slogan, nicht nur ein Post oder ein Protest. Sie ist ein tatsächlicher und konkreter Rettungsanker.

Jedes Kind in Gaza, das den Himmel voller Drohnen anstatt Drachen sieht, jede Mutter, die ihr Haus aus Trümmern wieder aufbaut, jeder Vater, der einen Verlust erlitten und sich dennoch seine Hoffnung bewahrt hat – für sie alle bedeutet eure Stimme: Wir haben euch nicht vergessen!

Der palästinensische Kampf betrifft nicht nur Grenzen oder Politik sondern befasst sich mit Würde, Gerechtigkeit und dem Recht eines Volkes auf ein Leben in Freiheit. Jedes Mal, wenn ihr sprecht, demonstriert, schreibt oder auch nur ein Gebet flüstert, brecht ihr das Schweigen, auf dem Unterdrückung gedeiht. Beweist, dass die Menschlichkeit uns nicht verlassen hat.

Unterschätzt nicht die Macht eurer Position. Nur Personen die nicht wegschauen, die auf Wahrheit beharren, wenn Lügen überwiegen, schreiben Geschichte. Lasst euch nicht beirren. Seit stark. Seit mitfühlend. Denn alle Solidaritätsgesten – große wie kleine – erzeugen eine so starke Hoffnung, dass sie Mauern und Kriege widersteht.

Palästina erbittet keine Almosen. Palästina will Gerechtigkeit. Und unsere gemeinsamen Stimmen sind der Anfang der Freiheit.

Wie fühlst du dich in deiner Rolle? Wie war rückblickend deine Kindheit und was denkst du über die Zukunft der Kinder in Gaza – so weit entfernt sie auch sein mag?

Meine Kindheit glich der Kindheit aller anderen palästinensischen Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern des Westjordanlands: Es war eine Kindheit ohne Spielplätze; enge Gassen und marode Mauern waren die einzigen Orte, um zu laufen und zu träumen.
Unser Lachen wurde von den überfüllten Häusern aus Blech und Beton zurückgeworfen, aber das Lachen war voll von Resilienz, geprägt von Geschichten über Verlust und über Generationen im Exil. Wir wuchsen zu schnell heran, erlernten die Sprache der Kontrollposten, waren von Ausgangssperren betroffen und lernten zu überleben noch bevor wir unschuldiges Spielen tatsächlich erfuhren.
Und dennoch leuchtet in unseren Augen ein intakter Funke – der Glaube daran, dass wir mehr als ein von Zäunen bestimmtes Leben verdienten.

Für die Kinder von Gaza, deren Kindheit durch jahrelangen Krieg zerrissen wurde, sehe ich eine bessere Zukunft voraus und erhoffe sie mir. Sobald die Welt handelt und ihr Schweigen bricht, dem Krieg und dem Leid der Kinder ein Ende setzt, sieht die Zukunft anders aus. Eine Zukunft, in der dieser Funke endlich ein Feuer entfacht, in der Licht auf Klassenzimmer und nicht auf Trümmer fällt, in der in Schulen nur die Schulglocke, aber keine Bomben zu hören sind und in der man auf Feldern ohne Angst rennen kann. Und eine Zukunft, in der nicht mehr Vertreibung die Identität bestimmt, sondern Freiheit, Würde und die unbegrenzten Möglichkeiten des Friedens.

Wir sollten lernen, unsere Namen zu schreiben und Blumen zu zeichnen und sollten Drachen hinterherlaufen.
Die Kinder von Gaza lernen stattdessen Kriegsgeräusche kennen – die der Drohnen und Raketen, die der Stille vor einer Explosion – und das nächtliche Angstgefühl in ihrer Brust.

Sie haben sich dieses Leben nicht ausgesucht. Sie haben es sich nicht ausgesucht, ihre Häuser, Schulen, Freunde und Eltern zu verlieren. Sie erwarten lediglich dasselbe, das jedem Kind zusteht: in Sicherheit aufzuwachen, frei zu spielen und ohne Angst zu träumen.

Wir appellieren an die Welt: Bitte schaut nicht weg! Euer Schweigen verletzt uns ebenso wie die Bomben. Wir sind keine Zahlen. Wir sind Kinder wie eure. Jeder Tag, an dem der Krieg fortdauert, beschneidet unsere Zukunft ein Stückchen mehr.

Handelt jetzt! Erhebt eure Stimme, fordert das Ende des Krieges, fordert, dass wir weiterleben können. Steht uns zur Seite, denn wir leben noch hier und klammern uns an die Hoffnung, darauf wartend, dass die Welt sich daran erinnert, dass auch wir Menschen sind und dass auch unser Leben wertvoll ist.

 

Erfuhrst du in den letzten Monaten ein besonders prägendes Vorkommnis?

Alle Vorfälle in Gaza sind schmerzhaft und nicht beschreibbar: Bombardierungen, Tötungen, Vertreibungen, Hunger, Amputationen bei Kindern, der Verlust von Freunden. Aber die schmerzhafteste Begebenheit war für mich der Hunger. Hunger bedeutet nicht nur Nahrungsmangel, sondern vielmehr einen langsamen und vorsätzlichen Krieg gegen das Leben selbst. Ich habe geweint, als meine Kollegen und ihre Familien mit nur einem einzigen Stück Brot überleben mussten, das sie unter sich aufteilten.
Meine Kolleginnen – Mütter – berichteten mir, mit leerem Magen zu Bett zu gehen, damit ihre Kinder etwas essen können. Und die Kinder weinen die ganze Nacht lang – nicht aus Angst vor den Bomben, sondern wegen des beißenden Hungers, der ihre kleinen Körper plagt.

Die Märkte sind leer und Hilfslieferungen werden blockiert, daher sind sogar einfachste Lebensmittel ein unerreichbarer Traum. Hunger raubt einem nicht nur die Lebenskraft, sondern auch die Würde; und die Menschen kämpfen still um ihr Überleben, während die Welt dabei zusieht.
Den Hunger in Gaza anzuprangern, bedeutet, eine künstlich erzeugte Grausamkeit anzusprechen, über eine jeden Tag tiefer werdende Wunde zu reden, der noch immer mit Resilienz begegnet wird, während die Menschen sich an die Hoffnung klammern, die Welt möge handeln, bevor eine ganze Generation verloren geht.

Wie kommuniziert und koordiniert ihr die Arbeit im Gazastreifen? Wie funktioniert die Verteilung der Hilfsgüter und was tut ihr gegen die aktuelle humanitäre Blockade?

Arbeiten und Kommunizieren im Gazastreifen ist mühsam. Die humanitären Helfer wirken dort wie Rettungsanker und verbreiten Hoffnung inmitten des Chaos; und sie trotzen dabei der deprimierenden Blockade und den anhaltenden Bombardierungen.
Aufgrund der gestörten Kommunikation und den häufigen Stromausfällen nutzen wir schwache Telefonsignale, handgeschriebene Notizen und menschliche Netzwerke, um Lebensmittel, Wasser und Medikamente zu koordinieren und sie an den Orten völliger Verzweiflung zur Verfügung zu stellen.

Die Verteilung ist niemals einfach, da humanitäre Helfer wegen der totalen Blockade keine Einreise in den Gazastreifen erhalten. Dadurch müssen wir uns bei lokalen Lieferanten versorgen, und generell ist dies ein äußerst schwieriges Unterfangen, da Lastwagen an den Grenzen angehalten werden, die Vorräte beschränkt sind und jede Lieferung bombardiert werden könnte.

Dessen ungeachtet handeln unsere Kollegen und Partner schnell und mutig. Sie organisieren ansässige Freiwillige, richten Verteilstellen ein und vergewissern sich, dass die Schwächsten – also betagte Personen, Frauen, Kinder und Kranke – zuerst versorgt werden.
Sich der Blockade entgegenzustellen, bedeutet, Lösungen zu finden, die eigentlich nicht notwendig sein sollten, Knappheit in Resilenz zu verwandeln und mit dem unbeirrbaren Glauben weiterzumachen, dass bereits ein Lebensmittelpaket oder eine Flasche sauberes Wasser Überleben, Würde und den Beweis bedeuten, dass die Menschheit Gaza nicht alleine lässt.

Ihre Unterstützung ermöglicht es uns, den Gemeinden in Gaza und Palästina weiterhin zur Seite zu stehen.
Photocredits: ActionAid Palästina