Wegen der Steuerparadiese verliert jedes Entwicklungsland pro Jahr dreimal so viel Geld, wie es an finanziellen Hilfen erhält. Die in den unterschiedlichsten Bereichen angewendete Methode nennt sich Steuerumgehung („Tax Dodging“) und wird von vielen grossen Unternehmen praktiziert, indem sie die Produktion und/oder die Versteuerung des Einkommens ins Ausland verlegen, um Steuern zu sparen. Dabei handelt es sich um eine legale Vorgehensweise, die nicht gesetzlich verboten ist. Aber das heisst nicht, dass sie ethisch gerechtfertigt ist. Die grossen multinationalen Firmen lassen immer häufiger in den Ländern der Südhalbkugel produzieren, wo Rohstoffe und Arbeitskräfte günstiger sind. Die Gewinne verschieben sie dann ins Ausland oder verteilen sie mit Hilfe von legalen Tricks auf mehrere Länder, damit sie weniger Steuern zahlen müssen. Ein bekanntes Beispiel ist das Verschieben der Gewinne in ein so genanntes „Steuerparadies“ wie die Schweiz. Hinzu kommt ein weiteres Phänomen, das die grossen Unternehmen begünstigt, nämlich der Abschluss von steuerlich extrem vorteilhaften Vereinbarungen mit den lokalen Regierungen. Der Grundgedanke dabei ist, eine doppelte Besteuerung im Herkunftsland und im Produktionsland zu vermeiden. Doch dadurch gelingt es den Produktionsunternehmen nicht nur, die Steuern zu umgehen, sondern sie berauben die Schwellen- und armen Länder dieser Erde einer grundlegenden Einnahmequelle, mit der lebenswichtige Einrichtungen für die Bevölkerung finanziert werden könnten.
WAS MACHT ACTIONAID
ActionAid hat im Zusammenhang mit diesem Phänomen recherchiert, um herauszufinden, was die südlichen Länder dazu treibt, auf einen beträchtlichen Anteil der Steuergelder, die ihnen zustehen, zu verzichten. Tatsächlich herrscht die falsche Auffassung vor, dass diese Art von Steuerabkommen dazu beiträgt, die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den Steuerbehörden der betreffenden Länder zu fördern. Ausserdem denken die armen Länder, dass diese Abkommen ein deutliches Signal für die Offenheit ihres Staates für ausländische Investitionen ist und sich daraus eine stabile Zusammenarbeit ergibt. Die Recherchen von ActionAid haben jedoch gezeigt, dass sich diese Ziele auch durch die Verabschiedung einfacher nationaler Gesetze erreichen lassen, während es nicht gesagt ist, dass bilaterale Abkommen zu vermehrten ausländischen Investitionen führen. Vielmehr wirken sich derartige Abkommen alles andere als positiv auf die Wirtschaft der armen Länder aus: Sie sind nicht nur ungerecht, sondern unterminieren die Transparenz der Regierungsaktivitäten des Gastlandes.
DIE BETROFFENEN LÄNDERN
Aus den Untersuchungen von ActionAid geht hervor, dass von diesem Phänomen nicht nur China, sondern auch viele europäische Länder betroffen sind, so zum Beispiel Grossbritannien (an erster Stelle mit 14 Steuerabkommen und 98 der 100 grössten Unternehmen, die Steuerparadiese nutzen), Italien, Deutschland und auch die Schweiz, die 2013 sechs solcher Abkommen hatte. Eines dieser Abkommen besteht mit Bangladesch, dem dadurch nur 10 Prozent an Dividenden aus der Produktionstätigkeit Grossbritanniens auf seinem Staatsgebiet zustehen. Allein 2013 entstand Bangladesch dadurch ein Verlust von 953'453 Dollar. Berücksichtigt man die Gesamtheit aller Länder, die ein derartiges Abkommen mit Bangladesch geschlossen haben, so beläuft sich der Verlust auf 85 Millionen Dollar pro Jahr.
Die Länder der Südhalbkugel erleiden also beträchtliche Verluste, da die nicht gezahlten Steuergelder dem nationalen Haushalt zur Finanzierung von Entwicklung, Bildung und Gesundheitswesen fehlen.
UNSERE ZIELE
ActionAid möchte das Bewusstsein der armen Länder dafür stärken, dass sie ihre Steuersätze in Anpassung an die eigenen Bedürfnisse und die jeweilige Situation selbst festsetzen können. So sind sie am Ende möglicherweise auch in der Lage, bestehende Verträge neu zu verhandeln (oder gar zu beenden). All das muss selbstverständlich vollständig transparent erfolgen. Bezeichnend ist der Fall von Malawi, eines der ärmsten Länder der Welt. Aufgrund eines Abkommens, das noch zu Kolonialzeiten geschlossen wurde, darf die Regierung keine Steuern für britische Unternehmen erheben, die auf dem Staatsgebiet angesiedelt sind. Dank der Unterstützung von ActionAid fordert die malawische Bevölkerung nun das malawische und britische Finanzministerium auf, ein neues und gerechteres Abkommen zu schliessen. Dadurch würden die Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes gelegt, denn mit den Steuereinnahmen könnten Gesundheitswesen, öffentliche Dienste und Schulbildung finanziert werden, die das Land so dringend braucht. Darüber hinaus wäre das Land dann weniger abhängig von ausländischer Unterstützung.
Wir müssen die Steuerbehörden in diesen Ländern bei ihren Bemühungen unterstützen und eine globale Bewegung vorantreiben, die die grossen multinationalen Firmen dazu auffordert, sich transparenter und korrekter zu verhalten. Das niederländische Unternehmen Paladin hat ein Steuerabkommen mit der malawischen Regierung, das ihm über 43 Millionen Dollar an Steuern eingespart hat. Mit diesem Geld hätte man in Malawi in einem Jahr zum Beispiel 431'000 HIV/AIDS-Behandlungen, 17'000 Krankenpfleger, 8'500 Ärzte oder 39'000 Lehrer finanzieren können.
In diesen Kontext fügt sich die Aktion von ActionAid ein. Wir haben nicht nur einen Leitfaden für Steuergerechtigkeit verfasst, sondern auch einen Bericht zur Steuerumgehung vorgelegt, der kürzlich unter dem Titel „Mistreated“ (Misshandelt) veröffentlicht wurde. Er möchte den armen Ländern einige Richtlinien an die Hand geben, damit sie vorteilhaftere Steuerabkommen ausarbeiten können und ganz allgemein dazu beitragen, dass das Steuersystem weltweit demokratischer wird.